Weihnachtspredigt 2023

Weihnachtspredigt 24.12. 2023

In der Stadt Pforzheim im Nordwesten Baden-Württembergs gibt es eine außergewöhnliche Kindertagesstätte, die Kita Irenicus mit einem bundesweit einmaligen Konzept: Die Einrichtung ist interreligiös. Hier spielen jesidische, jüdische, muslimische, christliche und konfessionslose Kinder miteinander. Sie lernen die Bräuche verschiedener Religionen kennen, erleben Vielfalt und Toleranz.

Das Konzept gilt als bundesweit einzigartig, weil die Einrichtung von verschiedenen Konfessionen und Religionen getragen wird. Wichtig, wie in jedem Kindergarten, sind die Feste. Und da stehen natürlich im Dezember der Besuch vom Nikolaus und das christliche Weihnachtsfest an, aber auch das achttägige jüdische Lichterfest Chanukka und Ida Ezi. Das ist das Fest der Jesiden zu Ehren Gottes als dem allmächtigen Schöpfer und ihr wichtigster religiöser Feiertag. Schon die Kleinsten sind offen und neugierig gegenüber anderen Menschen, die Kinder haben fast nie Vorurteile", sagt ein Wissenschaftler. So könne ein respektvolles und friedliches Miteinander nicht nur in der Kita, sondern auch später in unserer multireligiösen Gesellschaft gelingen".*
Von den Kindern in der Pforzheimer Kita können wir Erwachsene lernen. Und das Beispiel macht Mut in diesen dunklen Zeiten. Ein kleiner Lichtblick, in einer Zeit, in der sich Menschen ihrer Religion wegen drangsalieren und sogar umbringen. Erinnern Sie sich noch an Weihnachten vor vier, vielleicht auch vor zehn Jahren? Manchmal denke ich, da war alles ganz anders: unbeschwerter, wir fühlten uns freier und sicherer. Spätestens seit Corona spüren wir: Es geht etwas zu Ende, und es kommt auch nicht zurück. Die Welt verändert sich und jetzt verändert sie auch uns. Und plötzlich ist alles ganz nah: der Krieg in der Ukraine, der Terror im Nahen Osten, die toten Kinder von Gaza.
„Der Hass der radikalen Hamas hat Menschen getroffen, die selbst auf Frieden und Zusammenleben setzen mit den palästinensischen Nachbarn. Menschen, die sich von ihrer eigenen Regierung aber nicht geschützt fühlen. Trotz allem gehen sie aufeinander zu, treffen sich über die Grenzen hinweg: Eltern zum Beispiel, die bei einem Terroranschlag in Israel oder bei einem Polizeieinsatz auf palästinensischem Gebiet ein Kind verloren haben. Sie treffen sich im „Parents-Circle“. Um sich kennenzulernen, und über die Grenzen des Hasses hinweg miteinander zu trauern und Freundschaft zu schließen. Aber all das wird immer wieder zerstört. Jedes Pflänzchen der Menschlichkeit zertreten“.**
Das ist die Welt am Weihnachtsfest 2023, zumindest die Welt, die wir jeden Tag in den Medien wahrnehmen: Kriege, Konflikte und Krisen, in der großen weiten Welt und direkt vor unserer Haustür. Dabei geraten im Spiel der Großen und Mächtigen die Schwachen schnell an den Rand, so wie das kleine Kind in der Krippe, von dem die biblische Weihnachtsgeschichte erzählt: arm, obdachlos, ohne einen rechten Platz in der Welt. Ein König der ganz anderen Art kommt da zur Welt. Einer, der nicht über andere herrscht, sondern bedingungslos auf der Seite der Menschen steht. Dieses Kind schreit nicht nach Vergeltung und Genugtuung. Es macht ihr ein Ende. Es liegt unbewaffnet und entwaffnend in der Krippe.
Der Frieden ist mit Händen zu greifen. Die Geburt dieses Kindes führt Menschen zusammen, die sich niemals sonst im Leben gefunden hätten. Was sie verbindet, ist die Sehnsucht nach Frieden: Reiche und Arme, Sterndeuter aus dem Morgenland und bettelarme Hirten. Da, wo die weihnachtliche Botschaft gelebt wird, schließt sich die Schere zwischen Reichtum und Armut. Da gehen Menschen aufeinander zu und reichen sich die Hände. Da ist der Unbekannte/die Unbekannte keine Bedrohung, sondern Bruder und Schwester. Da herrschen Wertschätzung und Toleranz dem Fremden gegenüber. Da ist Frieden. Dieser Friede kann wachsen. Er kann durch uns wachsen. Er kann in jeder und jedem von uns ein Gesicht bekommen.
Durch die Geburt eines Kindes kommt Gott zu den Menschen. Mitten unter uns. 30 Jahre später lebt dieser Jesus von Nazareth die Liebe mitten unter den Menschen und lehrt sie, den Frieden zu stiften. Die Menschen, die ihm begegneten erahnen, dass Liebe allen Hass überwindet, dass das Leben über den Tod siegt und Frieden auf der Erde sein wird.
In dieser Heiligen Nacht verkünden Engel den Frieden auf Erden. Es liegt an uns, ob wir uns mitnehmen und begeistern lassen von der Weihnachtsbotschaft hin zum Kind, zum Leben und zur Liebe.
Und der Friede Gottes, der größer und weiter ist als all unsere Vernunft, der kommt uns in dieser Nacht entgegen. Er stärke uns und bewahre unsere Herzen und Sinne in Christus Jesus. Amen.
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* Vgl. „Wo Christen, Muslime und Jesiden zusammen feiern“, Christine Süß-Demuth ** Vgl. „Du stilles Geschrei – Terror in Israel“, Melitta Müller-Hansen