Weihnachtspredigt 2021

Eine Mutter sitzt nachts ihrem jugendlichen Sohn am Küchentisch gegenüber. Beide können nicht schlafen. Beiläufig fragt der Sohn, während er Cornflakes mit Milch isst, seine Mutter: „Was wünschst Du Dir eigentlich zu Weihnachten?“ Ihre Antwort überrascht: „Ich wünsche mir, dass Du nicht immer zu Haus rumhängst, dass Du Dich heimlich aus dem Haus schleichst und ich nicht weiß, wo Du bist. Und dass Papa Dich dann abholen muss, weil Du viel zu viel getrunken hast. Ich wünsche mir, dass Du die Schule schleifen lässt, weil Dir alles andere viel wichtiger ist. Ich wünsche mir, dass Du hier heimlich eine Party feierst und dass Du diesem Mädchen endlich sagst, dass Du sie liebst – und dass sie Dir Dein Herz bricht. Ich wünsche mir, dass Du mit Freunden auf Reisen gehst. Ich wünsche mir einfach, dass Du Deine Jugend zurückbekommst“. Die Mutter wünscht ihrem Sohn, dass er all das erlebe, auf was er die vergangenen zwei Jahre verzichten musste.

Diese Szene stammt aus einem Werbeclip einer großen Discounter-Kette. Der kleine Film hat in den letzten sechs Wochen für großes Aufsehen gesorgt, im Internet und im Kino. Er trägt den Titel „Der Wunsch“.

Um das Video anzusehen, klicken Sie *hier*

Vielleicht wurde nirgendwo sonst das Lebensgefühl der Jugend in Corona-Zeiten so treffend auf den Punkt gebracht. Die Botschaft wird auf eine einfühlsame Weise dargestellt, die tief berührt. Zusammen mit der Mutter durchlebt man in drei Minuten die Momente des Lebens, die ihr Sohn nicht erfahren wird, und führt sich vor Augen, was es bedeutet, während der Pandemie erwachsen zu werden. Über das Smartphone immer erreichbar und doch allein.

„Was wünschst Du Dir eigentlich zu Weihnachten?“ Die Frage möchte ich auch Ihnen stellen. Ich denke, wenn uns heute Abend in dieser Heiligen Nacht etwas verbindet, dann ist es der Wunsch, dass wir alle unser altes Leben zurückbekommen, ein Leben ohne Masken und Abstandsregeln, ohne Corona-Tests und mit allen Freiheiten, die wir seit fast zwei Jahren schmerzlich vermissen. Und wenn wir uns in diesen Tagen Briefe, Mails oder WhatsApps schreiben, wenn wir mit Menschen telefonieren, die uns am Herzen liegen, dann sagen wir „Bleib gesund!“ Was kann man sich Besseres wünschen.

Mehr als je zuvor überschattet die Sorge um unsere Gesundheit dieses Weihnachtsfest. Und deshalb ist der Wunsch „Bleib gesund“ naheliegend, obwohl das so banal klingt. Na klar, wir wünschen uns alle, dass wir ohne krank zu werden oder in Quarantäne zu müssen durch die Feiertage kommen. Meistens wünschen wir uns ja gesegnete oder frohe Weihnachten. Gesunde Weihnachten zu wünschen, klingt in meinen Ohren erst einmal befremdlich.

In der Weihnachtsgeschichte des Lukas verkündet der Engel den Hirten, dass der Heiland geboren ist. Er ist der erwartete Messias, der den Menschen Heilung bringt. Das Weihnachtsfest ist kein Fest der Krankheit. Es ist aber in besonderer Weise ein Fest für die Kranken. Für die Kranken an Körper und Seele. Krankheit ist mehr als nur eine körperliche Einschränkung. Es geht um die Heilung des ganzen Menschen.

Die biblischen Lesungstexte in der Heiligen Nacht verkünden, dass Gott in diese, in unsere Welt eingreift. Im Titusbrief wird Gottes Rettungsaktion zusammengefasst: „Die Gnade Gottes ist erschienen, um alle Menschen zu retten“, heißt es da. Gott will in seiner Menschwerdung die Menschheit gesund machen. Das verwundbare Kind in der Krippe zeigt uns, dass wir verwundbar und verletztlich sein dürfen, wie ein kleines, schutzbedürftiges Kind. Weihnachten ist das Fest, dass uns heil und gesund machen will.

Gott schaut auf unser Leben, er sieht unsere Wunden und Narben, das Schöne und das Schwere, dass uns ausmacht. All das finden wir in der Krippe. Alles das, wozu wir geworden sind und was unsere Gegenwart ausmacht. Diese Gegenwart heißt Jesus von Nazareth. In ihm sind wir angenomen, geborgen und geliebt wie ein Kind, auch in der Krisenzeit. Jesus wird geboren und Gott wohnt in uns. So zieht Gott in unser Leben ein.

„Und das Wort ist Fleisch geworden und hat unter uns gewohnt“, schreibt der Evangelist Johannes. Gott kommt in unsere unfertigen Bauten und Ruinen. Er braucht keinen königlichen Palast. Ein armseliger Stall am Ende der Welt ist gut genug für ihn. Gott nimmt Wohnung in den Fragmenten und Stückwerken unseres Lebens. Eine Wohnung ist mehr als nur vier Wände mit Fenstern und Türen und einem Dach darauf. Eine Wohnung gibt mir Schutz und gibt mir Sicherheit. Um in Frieden mit mir und meinerFamilie zu leben, brauche ich einen Ort, wo das möglich ist, einen Rückzugsort. Wer die Wohnung verliert, verliert Geborgenheit und Sicherheit. Wir haben ein Dach über dem Kopf, möge es ein Bild dafür sein, dass Gott bei uns, in uns, unter uns wohnt. Gott will unter den Menschen wohnen, weil er uns liebt. Wenn wir das begreifen, dann ist der Himmel offen, dann ist der Himmel ein Dach über uns, das nicht nur verschlossen, sondern offen ist, durchlässig für ihn, den Gott unseres Lebens, der in seinem Sohn Fleisch geworden ist, einer von uns.

„Was wünschst Du Dir eigentlich zu Weihnachten?“

Die Antwort auf diese Frage können Sie sich nur selbst geben. Ich wünsche Ihnen, dass Ihr Wunsch in Erfüllung geht...

Bleiben Sie gesund und gesegnete Weihnachten!
Matthias Ziemens