Pfingstpredigt 2023

Am Abend des ersten Tages der Woche, als die Jünger aus Furcht vor den Juden bei verschlossenen Türen beisammen waren, kam Jesus, trat in ihre Mitte und sagte zu ihnen: Friede sei mit euch! Nach diesen Worten zeigte er ihnen seine Hände und seine Seite. Da freuten sich die Jünger, als sie den Herrn sahen. Jesus sagte noch einmal zu ihnen: Friede sei mit euch! Wie mich der Vater gesandt hat, so sende ich euch. Nachdem er das gesagt hatte, hauchte er sie an und sagte zu ihnen: Empfangt den Heiligen Geist! Denen ihr die Sünden erlasst, denen sind sie erlassen; denen ihr sie behaltet, sind sie behalten. Joh 20, 19-23

Die Türen waren verschlossen, die Stimmung war deprimierend, ohne Hoffnung. Die Jünger trauten sich nicht, das Haus zu verlassen, zu groß war die Angst. Draußen in der Stadt, in Jerusalem drohten Verfolgung und Anklage, Es lauerte vielleicht sogar der Tod. Jesus ist nicht mehr da, und seine Freunde haben die Fenster verrammelt und die Türen abgeschlossen. Das ist wie ein Bild ihres inneren Zustandes: Sie haben sich eingemauert und fühlen sich alleingelassen. So beginnt die Pfingstgeschichte im Johannes-evangelium. Sie spielt bereits am Ostertag, nicht erst, wie bei Lukas, fünfzig Tage später. Die Jünger haben sich verbarrikadiert. Doch der Auferstandene durchbricht die Mauern. Nichts kann ihn hindern, keine verschlossene Tür, keine Angst, kein Zweifel. Die verängstigten Freunde begreifen: Wir sind doch nicht allein und zu Ende ist diese Geschichte mit Jesus, dem Christus, noch lange nicht. Er ist da und er lebt. Gott hat ihm neues Leben geschenkt. Jesus kommt in ihre Mitte und sagt nur: Friede sei mit euch! Zweimal sagt er es. Friede in eurer Angst, in eurer inneren Unruhe, Eurer Schuld, Eurer Orientierungslosigkeit. Friede findet ihr nicht, wenn ihr euch mit euch selbst, mit eurer Angst und den Gefahren beschäftigt, sondern Frieden erhaltet ihr durch mich.

„Friede sei mit euch.“ Wie wohltuend muss dieser Satz in dieser Situation in ihren Ohren geklungen haben. Das klingt nicht nach Angst. Das klingt nach Geborgenheit und Zuversicht, auch wenn Jesus nicht mehr der Alte ist. Die Zeichen seines Leidens und seines Martyriums sind nicht weg, die Wunden sind nicht zu übersehen. Und so wird den Jüngern klar, dass sich alles zusammenfügt. Und so begreifen sie, wer da vor Ihnen steht und sind voller Freude. Jesus haucht die Jünger an und sagt: „Empfangt den Heiligen Geist“, nicht, damit sie ihn hinter ihren verschlossenen Türen einsperren. Vielmehr begreifen Sie: Mit Jesu Atemzug hat sich alles verändert. Die Angst kann keine Option sein. Das Einschließen in die eigenen vier Wände auch nicht. Und Hoffnungslosigkeit schon gar nicht. Sie sollen sich nicht weiter vergraben und ihren Kummer pflegen, sondern sie sollen beflügelt vom Heiligen Geist hinausgehen und Hoffnung verbreiten. Sie sollen Bilder malen von einer Welt, in der alle genug Luft zum Atmen haben. Bilder von einer Welt des Friedens, der Gerechtigkeit und der Versöhnung. Die Jünger tragen den Heiligen Geist hinaus in der Stadt, hinaus in die Welt: Petrus nach Rom, Jakobus nach Spanien, Thomas nach Indien, andere nach Kleinasien und Nordafrika. Was für eine Kehrtwende im Leben der Jünger. Und wir können uns einer Sache ganz sicher sein: Es war der Heilige Geist, der ihnen den Mut und die Kraft gegeben hat, die sie dazu brauchten.

Jesus hat seine Jünger nicht in geschlossene Räume gesandt, wo sie unter sich bleiben. Nein, er hat sie be-geistert, damit sie die Kraft haben, hinauszugehen, die Welt zu verändern, den Menschen von der Liebe Gottes zu erzählen und die Liebe Gottes zu leben. Ja, manchmal sitzen auch wir in unseren verschlossenen Räumen, auch in geschlossenen Denk-Räumen, weil wir unsere Überzeugungen pflegen und hegen und nichts anderes gedanklich zulassen, vielleicht auch als Gemeinde, die wir uns verschanzen hinter festen Mauern und gesicherten Türen. Es ist manchmal gar nicht so einfach, seine Räume zu öffnen. Und dennoch sagt Jesus: Raus mit euch! Wagt etwas! Die Kraft des Heiligen Geistes ist in euch. Und seine Fülle steht immer für das Neuwerden, für eine neue Schöpfung. Ja, lasst euch treiben, lasst euch bewegen. Wenn es dem Heiligen Geist möglich war, diese verängstigten Jünger so stark zu machen, dass sie das Evangelium überall hinbrachten, bis an das Ende der damals bekannten Welt, dann ist diesem Geist alles möglich. Und das gilt auch für uns heute. Vielleicht würde uns Jesus heute hier in der Kirche das sagen: Verschanzt euch nicht, wie es dem Geist selbst entspricht. Verlasst alte Pfade, wenn es nötig ist, auch wenn es schwerfällt und seht, was im Verlassen des Alten an Neuem möglich ist. Also: Raus aus den eigenen vier Wänden.

Jesus überträgt seinen Jüngern große Verantwortung, er gibt ihnen am Ende ein schweres Erbe mit auf den Weg. Er sagt: Wem immer ihr die Sünden vergebt, dem sind sie vergeben. Wem ihr sie nicht nachlasst, „behaltet“ wie es im Text heißt, dem sind sie nicht vergeben, „festgehalten.“ In der Kraft des Heiligen Geistes zu leben, be-geistert zu sein, heißt auch: Verantwortung zu übernehmen. Und da setzt das Johannesevangelium einen Schwerpunkt auf die Vergebung. Das, was oft am schwersten ist. Denn Vergebung in Jesu Sinne heißt nicht, sich als Richter aufzuspielen, und danach zu fragen: Wer hat Schuld? Oder wie bekomme ich Recht? Sondern vielmehr: Wie kann ich im Unrecht eines anderen immer auch noch seine Not sehen? Wie kann ich ihm helfen, dass er einen guten Weg für sein Leben findet? Aber, sagt Jesus, ihr könnt es auch anders machen. Wem ihr die Sünden festhaltet, dem sind sie festgehalten. Das scheint wirklich eine alternative Möglichkeit zu sein. Du kannst sie, die Sünden, einem anderen nicht vergeben. Aber wir sollten uns klar machen: Oft behält man diese Sünden dann nicht nur für den anderen lebendig, dem man die Vergebung verweigert, sondern vor allem auch für sich selbst. Schleppt altes Zeug mit sich umher. Das kann man machen. Führt aber letztendlich zu nichts. Vergebung in Jesu Sinne zu leben, heißt eben nicht siebenmal vergeben, sondern siebzigmal siebenmal (Mt 18,22). Und das würde ich in aller Radikalität verstehen: Storniert die alten Rechnungen. Werft sie in den Ofen. Geht neu und immer wieder aufeinander zu. Der Geist in uns gibt die Kraft dazu, der Atem Jesu ist auch in uns. Er wurde uns schon in der Taufe eingehaucht. Gehen wir in dieser Kraft alles an, was uns auf dem Weg entgegenkommt. Wir wissen, was zu tun ist. Und in allem sind wir dabei nicht allein.

Matthias Ziemens, Propst