Osterpredigt 2023

Nachts allein auf dem Friedhof. Es gibt sie wohl immer noch, diese Mutprobe unter Jugendlichen. Man trifft sich zu später Stunde vor einem Friedhofstor und einer muss allein in der Dunkelheit vorbei an den Gräbern über den Friedhof gehen. Es ist zwar nicht erlaubt, sich nachts auf einem Friedhof aufzuhalten, aber es beflügelt die Fantasie der Menschen. Und außerdem kann es nachts auf einem Friedhof gruselig sein. Es ist stockfinster, Sträucher und Büsche bewegen sich im Wind. Vielleicht versteckt sich jemand dahinter. Tod hat oft mit Angst zu tun, aus ganz verschiedenen Gründen.

Davon berichtet Matthäus in seiner Ostergeschichte. Die Frauen, die am frühen Morgen zum leeren Grab kommen, haben erst einmal Angst. Noch vor Sonnenaufgang haben sie sich auf den Weg gemacht. Sie wollen Jesus die letzte Ehre erweisen. Die Eindrücke der letzten Tage sind noch ganz frisch, der ergreifende Abschied, die Verhaftung, der Weg nach Golgotha und dann dieser grauenvolle Tod. Ist nun alles vorbei? Was bleibt von seinen Worten, den Wundern, der Zuwendung zu den Menschen, von allem mit dem er ihr Leben so sehr verändert hat? Die Frauen zieht es zum Grab. Vielleicht kennen auch Sie diese Besuche am Grab eines lieben Menschen kurz nach der Beerdigung, um für sich allein in Stille Abschied zu nehmen.

Noch ehe die Frauen in der Ostergeschichte des Matthäus das Grab erreicht haben, bebt die Erde. Der große Stein vor dem Grab wird beiseite gerollt, und es ist leer. Die Wächter, die auf Pilatus‘ Befehl hin dafür Sorge tragen sollten, dass der Leichnam nicht gestohlen wird, liegen geschockt am Boden. Und dann erscheint diese leuchtend weiße Gestalt. Das alles ist zu viel für die Frauen. Vor Angst erstarren sie. Doch dann diese Stimme: „Fürchtet euch nicht!“ Auf einmal wird ihnen klar: All das muss mit Gott zu tun haben. Der Glanz des Lichtes, das ist kein missglücktes Feuerwerk. Sie haben es mit Gott selbst zu tun, er ist da, auch wenn sie ihn nicht sehen. Doch sie sind verängstigt und verstummen. Doch das „Fürchtet euch nicht!“ gilt ihnen. Sie sind angesprochen. Der Engel sagt zu den Frauen: „Ich weiß, ihr sucht Jesus, den Gekreuzigten. Er ist nicht hier; denn er ist auferstanden, wie er gesagt hat“. Sie sollen sich selbst davon überzeugen und sich schnell auf den Weg machen. Sie sollen zu den Jüngern laufen und ihnen von den unfassbaren Ereignissen berichten. Während sie zu den Jüngern laufen, steht der Auferstandene vor ihnen. Unfassbar, ja er ist es , sie erkennen. Es ist Jesus. Aus Verzweiflung, Trauer und Angst wird große Freude. Ja, Jesus lebt. Das ist der Grund, warum wir heute hier sind.

Im Glaubensbekenntnis sagen wir, dass Jesus hinabgestiegen ist in das Reich des Todes. Es ist der Ort der Finsternis und äußerster Verlassenheit. Auch in diesem Jahr ist dieses Reich des Todes ganz nahe. Da sind die vielen Menschen, die die Flucht über das Mittelmeer wagen und dabei ertrinken. Und in der Ukraine sehen wir tote Soldaten, Christen, Menschen, die sich umbringen. Die einen vielleicht freiwillig und überzeugt, andere gezwungen durch politische Entscheidungen. Das ist das Reich des Todes vor der Haustür Europas im 21. Jahrhundert. Können wir trotzdem Ostern feiern?

Ja, wir können es, weil an Ostern das Undenkbare geschehen ist: „Die Liebe ist vorgedrungen in das Reich des Todes“, so hat es Papst Benedikt einmal ausgedrückt. Die Botschaft von Ostern muss gerade deshalb verkündet werden, weil jeder Ort des Todes durch Christus ein Ort des Lebens geworden ist. Christus lässt die Opfer der Geschichte nicht verloren gehen. Die Osterbotschaft ist darum die Mahnung für uns alle, mitzuwirken dabei, dass unsere Welt sich mehr und mehr in ein Reich des Lebens und der Hoffnung verwandelt. Wir haben dabei den Herrn im Rücken, der uns durch den Tod ins Leben voran gegangen ist (zitiert aus dem Osterwort 2023 von Bischof Wolfgang Ipolt, Görlitz).

Seit dem Ostermorgen wissen wir: Wir brauchen das Leben nicht mehr im Totenreich zu suchen. Wir brauchen die Liebe nicht mehr widerlegt zu fühlen durch den Gang der Ereignisse. In Zukunft dürfen wir aufeinander zugehen, nicht mehr mit der Botschaft der Verzweiflung, sondern vom Grabe weg, auf den anderen zu und ihm sagen: „Auch du brauchst nicht mehr an die Angst zu glauben und an die Allmacht der Mittel, Menschen in die Knie zu zwingen. Du darfst an das Leben glauben“. Und fangen wir an, so zu leben, so sagt uns die Osterbotschaft, dann begegnet uns der Herr.

Es ist das Wunder der Person Jesu, dass Ängste überwunden werden, Gräber sich öffnen, dass Verzweiflung zum Glauben reift, dass Steine sich fortbewegen und dass wir wissen: Er geht uns voraus. Alles, was er sagte, bestätigt sich fühlbar, hörbar noch einmal. Und keines der Worte, die er sprach ist verloren, vergessen oder widerlegt, sie sind die Zukunft. Sie sind, was uns vorausgeht. Wir brauchen den Lebenden nicht länger bei den Toten zu suchen. Halleluja.

Matthias Ziemens, Propst