Osternachtpredigt 2025

Geht es Ihnen auch so? In jedem Jahr bin ich erneut beeindruckt von der Feier der Osternacht. Es berührt und bewegt mich, wenn das Osterfeuer zu lodern beginnt und die neue Osterkerze entzündet wird. Wenn die Worte gesprochen werden: „Christus, gestern und heute, Anfang und Ende, Alpha und Omega. Sein ist die Zeit und die Ewigkeit. Sein ist die Macht und die Herrlichkeit in alle Ewigkeit.“ Und dann der Ruf: „Christus ist glorreich auferstanden vom Tod. Sein Licht vertreibe das Dunkel der Herzen.“ Da fühle ich mich angesprochen, in der Tiefe meines Glaubens – und angefragt in meinen vielen Fragen und Zweifeln. Das begeisterte Ja des Glaubens und daneben der Rest an Fragezeichen, an Zweifeln und Hoffnung. Zu Ostern gehört diese Spannung dazu: Mitten im Dunkel sitzend wird uns Licht geschenkt und uns zugesagt: „Jesus lebt!“ Fast noch ängstlich kommt mir das erste Halleluja von den Lippen, aus einem Herzen, das getroffen wurde vom Leiden Jesu und das sich nur langsam, ganz allmählich an das Osterlicht gewöhnt.

Den Frauen in unserem Osterevangelium ist es nicht anders ergangen. Sie waren voll beansprucht von der Sorge um den Leichnam Jesu, waren beschäftigt mit ihrer eigenen Trauerarbeit. In aller Frühe machen sie sich auf, mit ihren wohlriechenden Salben. Sie tun, was sie können. Aber was können sie tun? Mit Balsam den Geruch der Verwesung bannen und die äußere Gestalt des Toten konservieren, als sei er noch da. Nichts gegen solchen pietätvollen Dienst. Aber er bleibt, was er ist: Mumiendienst. Die Frauen werden deswegen nicht abgekanzelt. Aber sie werden vom Engel über ihr Suchen hinausgewiesen: „Was sucht ihr den Lebenden bei den Toten?“ Mit anderen Worten: Ihr sucht Jesus am falschen Platz. Ihr dürft und sollt mehr suchen als einen Toten. Wo sind wir mit unserem Glauben? Ist er nur noch Balsam, mit dem wir guten Geruch verbreiten möchten? Dient er gerade noch dazu, das Leben an Feiertagen und Lebenswenden etwas feierlicher zu machen? Versuchen wir, eine tote Gestalt zu konservieren, obwohl bereits die Würmer an den Restbeständen nagen? Wieviel in der Kirche ist Mumiendienst, pietätvolle Pflege einer vergangenen Gestalt alter Formen, die längst gestorben sind? Wo sind wir auf dem Weg zum Grab, statt dass wir Zeugnis vom Lebendigen geben? „Was sucht ihr den Lebenden bei den Toten?“

Es ist mir eine Freude, dass wir heute hier im Gottesdienst eine junge Frau in die Kirche und in unsere Gemeinde aufnehmen: NN. Ich heiße Dich und alle, die Dich heute begleiten herzlich willkommen. Es ist ein knappes Jahr her, da standest Du auf einmal bei mir vor der Pfarrhaustür und sagtest direkt heraus: „Ich möchte getauft werden.“ Es kommt nicht oft vor, dass Erwachsene nach der Taufe fragen. Ich war überrascht und neugierig zugleich. Ich wollte herauszubekommen, was dahintersteckt. Wir trafen uns daraufhin regelmäßig zu Gesprächen, meistens in der Kirche, saßen hier vorne in der Bank und sprachen über Gott und die Welt, über Glaubenserfahrungen. Ich darf das hier sagen, es waren sehr offene, persönliche Gespräche. Du hast mir Deine Geschichte erzählt. Und ich bin beeindruckt, wie Du zum Glauben gefunden hast. Heute Morgen empfängst Du nun die Taufe, direkt danach die Firmung und nachher in der Eucharistie, der Abendmahlfeier, zum ersten Mal die Heilige Kommunion. Und wenn Du nach dem Gottesdienst die Kirche verlässt, kannst Du allen sagen: Ich bin jetzt eine Christin. Und vielleicht wirst Du gefragt: Was ist das eigentlich, eine Christin? Eine Antwort darauf gibt mir das Osterevangelium: Eine Christin ist eine Zeugin der Auferstehung. So wie die Frauen vor etwa 2000 Jahren in Jerusalem am Grab dieses Jesus von Nazareth Zeuginnen der Auferstehung wurden. Wenn Jesus nicht leben würde, wäre der christliche Glaube tot. Ohne die Auferstehung würden wir ohne Hoffnung auf den Tod hin leben. Beweise für die Auferstehung Jesu gibt es nicht. Aber es gibt Zeugen, nicht nur die, die damals dabei waren. Ich denke an Menschen, die hier und heute unter uns sind, die mit ganzem Herzen glauben und die ihren Glauben voller Zuversicht und Freude leben. Sie setzen sich für die Botschaft Jesu nicht nur ein, sie leben sie, die Botschaft der Liebe und Barmherzigkeit. Für viele von uns sind oder waren das Menschen Glaubenszeugen, die uns besonders nahestehen. Vielleicht die Großmutter, die abends am Bett für ihre Enkelkinder betete, der wir es abgenommen haben, dass sie ganz fest mit der Wirklichkeit des Auferstandenen rechnete, obwohl sie es in ihrem Leben nicht leicht hatte. Vielleicht ist es aber auch die gute Freundin, der Freund, der damals durch dick und dünn mit mir gegangen ist, als mir das Wasser bis zum Hals stand, und der mir mit seinem Glauben Hoffnung schenkte. Ja, es gibt sie: Christinnen und Christen, die nicht predigen müssen, dass sie Christen sind. Menschen, die etwas von dem Geheimnis des Glaubens an den Auferstandenen ausstrahlen und leben.

In einer Klinik führte die Pflegedienstleitung eine junge Ausbildungsschwester an das Bett einer alten und sehr schwachen Frau. Sie bat die junge Schwester, ein wenig bei der Frau zu bleiben. Die Patientin atmete schwach, aber ruhig. Ganz genau betrachtete die Schwester das Gesicht der alten Frau. Sie sah die rauen Hände, die viel gearbeitet hatten. Sie sah das zerfurchte vom Leben gezeichnete Gesicht. Und dann bemerkte sie auf dem Nachtisch eine alte abgegriffene Bibel. Ein Lesezeichen ragte heraus. Sie schlug die Seite auf und las die Bibelstelle aus dem Johannesevangelium laut vor: ‚Ich bin die Auferstehung und das Leben. Wer an mich glaubt, wird leben, auch wenn er stirbt.‘ Als die Krankenschwester die Bibel leise zuschlug, bemerkte sie, dass die alte Frau ruhig und friedlich von dieser Welt gegangen war. Der Glaube an den Auferstandenen Jesus Christus lebt vom Zeugnis. Damit Menschen vom christlichen Glauben ergriffen werden und etwas von der Wirklichkeit des Auferstandenen spüren, braucht es Menschen, die von der Osterbotschaft tief ergriffen sind.“ Zitat: Jochen Wolber

Zurück zur Ostergeschichte aus dem Lukasevangelium. Nachdem die Frauen irgendwie begriffen hatten, was geschehen war, machten sie sich auf den Weg zu den Freunden von Jesus, um ihnen diese unfassbare Botschaft mitzuteilen. Doch die Männer hielten das für Unsinn, Frauengeschwätz eben. Männer brauchen wohl meistens etwas länger, um verstehen zu können. Das mit der Auferstehung zu begreifen, ist ja auch kaum möglich, für manche unmöglich. Daran hat sich seit fast 2000 Jahren nichts geändert. Wir Menschen brauchen Bilder, um das ansatzweise begreifen zu können: das Kreuz, Gräber, die Felsbrocken, die Nacht, das Licht und den Tag, gesprochene Bilder, hineingemalt in unser Leben. Und eben diese Stellung hat diese Osternacht inmitten der Nächte eines Jahres, inmitten der unzähligen Nächte unseres Lebens.

Während der Karfreitag uns an den Tod Jesu erinnert und das Osterfest uns an das Ja Gottes zum Leben - gegen allen Tod in der Welt - verbinden sich heute in dieser Nacht und mit diesem Gottesdienst alle Elemente: Wir kommen vom Karfreitag mit seiner Botschaft her und glauben uns in dieser Nacht hinüber zu dem, was auch die Frauen am Grab erfuhren: "Erschreckt nicht! Ihr sucht Jesus von Nazareth, den Gekreuzigten. Er ist auferstanden; er ist nicht hier“. Seit dem Ostermorgen wissen wir: Wir brauchen das Leben nicht mehr im Totenreich zu suchen. Wir brauchen die Liebe nicht mehr widerlegt zu fühlen durch den Gang der Ereignisse. In Zukunft dürfen wir aufeinander zugehen, nicht mehr mit der Botschaft der Verzweiflung, sondern weg vom Grab, auf den anderen zu und ihm sagen: „Auch du brauchst nicht mehr an die Angst zu glauben und an die Allmacht der Mittel, Menschen in die Knie zu zwingen. Du darfst an das Leben glauben“. Und fangen wir an, so zu leben, so sagt uns dieses Osterevangelium, dann begegnet uns der Herr. Es ist das Wunder der Person Jesu, dass Gräber sich öffnen, dass Verzweiflung zum Glauben reift, dass Steine sich fortbewegen und dass wir wissen: Er geht uns voraus. Alles, was er sagte, bestätigt sich fühlbar, hörbar noch einmal. Und keines der Worte, die er sprach ist verloren, vergessen oder widerlegt, sie sind unsere Zukunft. Wir brauchen den Lebenden nicht länger bei den Toten zu suchen. Halleluja.   

Matthias Ziemens                                                                                                           

Davon handelt der Spielfilm „Bach – ein Weihnachtswunder“. Vielleicht haben Sie den Film am vergangenen Mittwoch im Fernsehen gesehen. (Wenn nicht, dann können Sie dies in der ARD-Mediathek nachholen.) In der ersten Kantate des Weihnachtsoratoriums beginnt alles mit fünf Paukenschlägen, auftrumpfend und freudig, gefolgt vom Jubel der Flöten, Geigen und Trompeten. Und dann, als ob ein Vorhang aufginge, eröffnet der Chor das instrumentale Vorspiel zum festlichen „Jauchzet, frohlocket." Und wir sollen einstimmen in die herrlichen Chöre des Himmels. „Jauchzet, frohlocket, - auf, preiset die Tage, rühmet, was heute der Höchste getan, lasset das Zagen, verbannet die Klage, stimmet voll Jauchzen und Fröhlichkeit an…!“

So erklang es vor 290 Jahren zum ersten Mal. Und bis heute wird dieses großartige musikalische Werk, das Weihnachtsoratorium, überall in unseren Kirchen aufgeführt. „Lasset das Zagen, verbannet die Klage, stimmet voll Jauchzen und Fröhlichkeit an“, heißt es in der zweiten Textzeile. Was da fast wie ein Befehl klingt, ruft uns der Chor immer wieder stimmgewaltig zu.

Der vergangene Freitagabend hat viele Stimmen verstummen lassen, die Ereignisse auf dem Weihnachtsmarkt in Magdeburg lassen uns fassungslos zurück. Trotzdem, oder vielleicht gerade deshalb, feiern wir Weihnachten, auch wenn, so drückte es eine Bekannte von mir aus, das „Jauchzet, frohlocket“ aus dem Weihnachtsoratorium vielleicht etwas leiser klingt. Die wohlklingenden, resoluten Stimmen aus Bachs großartigem Werk können wir in diesen schwierigen Zeiten gut gebrauchen. Da tobt ja immer noch dieser zer­mür­ben­de Angriffs­krieg Russ­lands in der Ukrai­ne, der Krieg im Nahen Osten, die huma­ni­tä­re Kata­stro­phe in Gaza, unzäh­li­ge wei­te­re Kri­sen, Krie­ge uns Konflikte. Das blenden wir in dieser Nacht nicht aus. Und dennoch: „Lasset das Zagen, verbannet die Klage“. Ja, es ist zum Zittern und Zagen, zum Jammern und Klagen, dass der Friede auf Erden fern ist wie lange nicht. Aber es verbessert die Welt nicht, wenn ich mich verzagt zurückziehe und verzweifle.

Damit meine ich kein beschwichtigendes „Na ja, wird schon alles irgendwann gut werden“, dass die Kriege und das Leid unserer Tage ausblendet. Im Gegenteil, Weihnachten richtet den Scheinwerfer auf das, was Angst macht und Sorge bereitet. So beginnt ja das Weihnachtsevangelium. In der Übersetzung der Luther-Bibel klingt das so: „Es begab sich aber zu der Zeit, dass ein Gebot ausging von dem Kaiser Augustus, dass alle Welt geschätzt würde.“ Dieser erste Satz der Geschichte von Jesu Geburt schleudert uns das Schlamassel der unfriedlichen Welt förmlich um die Ohren. So sind die Verhältnisse. Ein Autokrat befiehlt und alle Welt muss seinen Gesetzen gehorchen.

„Lasst uns den Namen des Herrschers verehren“, singt der Chor in der ersten Kantate des Weihnachtsoratoriums. Anders gesagt: Kommt, und lasst uns Gott ehren. Nicht Augustus oder andere Diktatoren und Tyrannen, nicht die Einschüchterer und Menschenfänger, nicht die Blender und Querdenker.

Wir sehen, auch zur Zeit der Geburt Jesu war die Welt in einer chaotischen Unordnung: Kriege, Unterdrückung, soziale Ungerechtigkeit, Korruption herrschten, ein Viertel der Menschen im römischen Reich waren Sklaven. Wir wissen aus den Visionen der Propheten, wie sehr sich die Menschen nach Rettung, nach Befreiung, nach Erlösung und Heil gesehnt haben. Und genau diese Sehnsucht tragen wir doch auch heute in unseren Herzen. Die Sehnsucht, dass auch unsere Welt, unsere kleine und private, endlich heil wird, Frieden und Gerechtigkeit herrschen. Weihnachten ist die Antwort auf die Sehnsucht der Menschen nach dem, was wir so lebensnotwendig brauchen: Frieden.

Die Hirten, die ersten Zeugen der Geburt Jesu, haben dieser Botschaft getraut, sie haben Gottes Sprache verstanden und seiner Liebe geglaubt und so sind sie in ihre Welt hinausgeeilt und haben von diesem weihnachtlichen Wunder berichtet, weil sie in der Geburt dieses Kindes, den Christus, den Sohn Gottes erkannt und in ihm Gottes Liebe gespürt haben. Diese Botschaft erreicht heute, über 2000 Jahre später, auch uns. Dass Gott Mensch wird, im Kind von Bethlehem für Dich und mich ist der Grund zur Freude, vielleicht sogar auch zum Jauchzen und Frohlocken.

Der große Theologe Karl Rahner sagt es so:

Gott hat sein letztes, sein tiefstes, sein schönstes Wort im Fleisch gewordenen Wort in die Welt hinein gesagt, ein Wort, das nicht mehr rückgängig gemacht werden kann, weil es Gottes endgültige Tat, weil es Gott selbst in der Welt ist. Und dieses Wort heißt:

 

Ich liebe dich, du Welt und du Mensch.
Ich bin da, ich bin bei dir.
Ich bin deine Zeit.
Ich weine deine Tränen.
Ich bin deine Freude.
Ich bin in deiner Angst, denn ich habe sie mitgelitten.
Ich bin in deiner Not.
Ich bin in deinem Tod, denn heute begann ich mit dir zu sterben, da ich geboren wurde,
und ich habe mir von diesem Tod wahrhaftig nichts schenken lassen.
Ich bin da. Ich gehe nicht mehr von dieser Welt weg, wenn ihr mich jetzt auch nicht seht.
Und meine Liebe ist seitdem unbesieglich.
Ich bin da. Es ist Weihnachten.
Zündet die Kerzen an. Sie haben mehr recht als alle Finsternis.
Es ist Weihnacht, die bleibt in Ewigkeit.“

Wo und wie auch immer Sie in diesem Jahr Ihr Feiertage verbringen, wünsche ich Ihnen mit diesen Worten von Karl Rahner Tage voller Licht, in denen die Liebeserklärung Gottes tief in Ihr Herz dringt, auf dass Sie getrost und unverzagt in ein neues Jahr gehen können. Ich wünsche Ihnen gesegnete Weihnachten.

Matthias Ziemens, Propst